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Diagnose: Zwangsstörung

Während die Zwangsstörung im ICD-10 noch zu den Angststörungen gezählt wird, wurde ihr im 2013 neu erschienenen DSM-5 eine eigene diagnostische Kategorie gewidmet. Hierdurch wird auf Unterschiede hinsichtlich ätiologischer, neurobiologischer und psychopathologischer Aspekte im Vergleich mit anderen Angststörungen hingewiesen [1].

Das Kernsymptom einer Zwangsstörung stellen Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen dar, welche bei den Betroffenen einen hohen Leidensdruck und/oder deutliche Einschränkungen in der Leistungsfähigkeit (z.B. durch den erhöhten Zeitaufwand) bewirken.

Zwangsgedanken

  • sich wiederholende Gedanken, Bilder oder Impulse, die als belastend und ungewollt erlebt werden,
  • so dass die Betroffenen versuchen sie zu bekämpfen,
  • wobei der Widerstand gegen diese meist erfolglos ist
  • z.B. „Ich könnte mein Kind erstechen“, „Ich könnte pervers sein“, „Ich könnte im Schlaf etwas Schreckliches getan haben“, „Ich könnte etwas fundamental wichtiges vergessen haben“ etc.

Zwangshandlungen

  • sich wiederholende, stereotype Handlungen, zu denen sich die Betroffenen gezwungen fühlen
  • oft in Reaktion auf einen Zwangsgedanken, um diesen oder unangenehme Gefühlszustände zu „neutralisieren“
  • z.B. übermäßiges Händewaschen aus Angst, sich mit einer Krankheit zu infizieren, übermäßiges kontrollieren, ob der Herd aus ist, aus Angst, die Wohnung könnte sonst abbrennen, zwanghaftes Ordnen oder wiederholtes Zählen aus Angst, sonst könnte etwas Schlimmes passieren

Viele Betroffene neigen zu ungünstigen Grundüberzeugungen, wie z.B. sich für vieles übermäßig verantwortlich zu fühlen, Unsicherheit nicht aushalten zu können, Gefahren und Gedanken zu überschätzen oder Perfektionismus. Weiterhin spielen soziale Unsicherheiten eine große Rolle, so dass bei Personen mit einer Zwangserkrankung häufig auch eine ausgeprägte Fehlschlag- und Kritikangst sowie mangelndes Abgrenzungsvermögen vorkommen [2].

Die Wahrscheinlichkeit einmal im Leben an einer Zwangsstörung zu erkranken wird auf ca. 1-2 % in Deutschland geschätzt [3], wobei sich die Zwänge häufig im frühen Erwachsenenalter manifestieren [4].

Fallbeispiel: Zwangsstörung

„Immer wenn ich die Wohnung verlasse oder schlafen gehe, muss ich zuvor jeweils fünfmal kontrollieren, ob ich den Herd richtig ausgemacht, die Kühlschranktür geschlossen, alle technischen Geräte vom Strom genommen, alle Wasserhähne richtig zugedreht und die Wohnungstür richtig abgeschlossen habe. Es ist mir sehr wichtig, dass ich dabei nicht gestört werde und alles der Reihe nach prüfen kann. Meist dauert dies ca. eine halbe Stunde, wobei es schon immer häufiger vorkommt, dass ich mir unsicher bin, ob ich es wirklich richtig gemacht habe und dann noch einmal zu prüfen beginne. Es nervt mich total, dass mich das so viel Zeit kostet. Manchmal komme ich deswegen sogar zu spät zur Arbeit, weil ich den Bus verpasse, wenn ich noch mal zurückgehe und kontrolliere. Wenn ich bei meinem Freund schlafe, habe ich dieses Problem nicht. Wenn er wüsste, was ich in meiner Wohnung immer veranstalte, würde er mich wahrscheinlich für verrückt halten.“ (Frau J., 28)

Wie entsteht eine Zwangsstörung?

Zwangsstörungen entstehen vermutlich durch ein Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und externen Faktoren. So gibt es beispielsweise Studien, die eine erhöhtes Auftreten von Zwangsstörungen unter Angehörigen (11,7%) im Vergleich zu Angehörigen von Kontrollprobanden (2,7%) zeigen [5], ebenso wie es verschiedene neurobiologische Auffälligkeiten bei Zwangserkrankten gibt.

Das wohl gängigste Modell in der kognitiven Verhaltenstherapie von Salkovskis [6] geht davon aus, dass „normale“ aufdringliche Gedanken fälschlicherweise als bedrohlich und unakzeptabel interpretiert werden, während die Betroffenen zugleich glauben, die Verantwortung für die Abwendung dieser Bedrohung zu tragen. Daher kommt es zum Ausführen bestimmter Verhaltensweisen, um so unangenehme Gefühle und die eigene Verantwortung zu mindern sowie die angenommene Katastrophe zu verhindern. Diese Zwangshandlungen werden in der Folge schließlich beibehalten, da das kurzzeitige Nachlassen unangenehmer Gefühle als angenehm empfunden wird; langfristig werden korrektive Lernerfahrungen dadurch jedoch verhindert und so die Zwangserkrankung aufrechterhalten.

Therapie der Zwangsstörung

Während Zwangserkrankungen früher in psychoanalytischen Therapien lange Zeit den Ruf hatten, schwer behandelbar zu sein, gibt es heute insbesondere im Bereich der Kognitiven Verhaltenstherapie eine Vielzahl von Metaanalysen, die die Wirksamkeit dieser eindeutig bestätigen [7],[8]. Eine besonders wichtige Rolle scheint hierbei der Behandlungsbaustein der Exposition mit Reaktionsverhinderung zu spielen. Neuere Therapieansätze, wie z.B. die Akzeptanz-und-Commitment Therapie nach Hayes [9] sind zwar noch nicht ausreichend untersucht, scheinen aber eine vielversprechende Ergänzung in der Behandlung von Zwangserkrankungen sein zu können [10]. Weiterhin existiert Evidenz, dass eine kombinierte Behandlung von Psychotherapie und Antidepressiva, wie z.B. Clomipramin (ein trizyklisches Antidepressivum) oder Selektiven-Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (kurz: SSRIs) einer alleinigen Pharmakotherapie überlegen ist [11].

Typische Bestandteile der Therapie können sein:

  • Psychoedukation = Wissenserwerb zu Symptomen, der Entstehung sowie den aufrechterhaltenden Mechanismen der Zwangserkrankung (ggf. unter Einbezug von Angehörigen bzw. Bezugspersonen)
  • Verhaltens- und Situationsanalysen
  • Kognitive Techniken = z.B. Erkennen von Überschätzungen der Verantwortlichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Bedrohung, Unterscheiden von Gedanken und Realität („Entschärfung/Defusion“ aus ACT)
  • Expositionen mit Reaktionsverhinderung
  • Rückfallprophylaxe = Vorbereitung auf einen funktionalen Umgang mit Rückfällen
  • Soziales Adaptationstraining inkl. z.B. Umgang mit Perfektionismus, Fehlschlag- und Kritikangst, Konflikten, Schuld, Erlernen von selbstsicherem Verhalten
  • Quellen
Quellen
  1. Oelkers, C. & Hautzinger, M. (2013). Zwangsstörungen. Ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behandlungsmanual (2. Aufl.), Weinheim/Basel: Beltz.
  2. Oelkers, C. & Schink, C. (2011). Zwangsstörungen. In M. Hautzinger (Hrsg.), Kognitive Verhaltenstherapie: Behandlung psychischer Störungen im Erwachsenenalter (S. 64-81). Weinheim: Beltz.
  3. Voderholzer, U., Schlegl, S. & Külz, A. K. (2011). Epidemiologie und Versorgungssituation von Zwangsstörungen. Der Nervenarzt, 82(3), 273-280.
  4. Grabe, H. J., Janowitz, D. & Freyberger, H. J. (2007). Epidemiologie, Familiarität und Genetik der Zwangsstörung. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 55(4), 219-226.
  5. Nestadt, G., Samuels, J., Riddle, M., Bienvenu, O.J. 3rd, Liang, K.Y., LaBuda, M., Walkup, J., Grados, M. & Hoehn-Saric, R. (2000). A family study of obsessive-compulsive disorder. Archives of General Psychiatry, 57(4), 358-363.
  6. Salkovskis, P. M., Ertle, A. & Kirk, J. (2000). Zwangsstörungen. In: J. Margraf (Hrsg.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Berlin: Springer.
  7. Hofmann, S. G. & Smith, J. A. (2008). Cognitive-behavioral therapy for adult anxiety disorders: a meta-analysis of randomized placebo-controlled trials. Journal of Clinical Psychiatry, 69(4), 621-632.
  8. Jónsson, H. & Hougaard, E. (2009). Group cognitive behavioural therapy for obsessive-compulsive disorder: a systematic review and meta-analysis. Acta Psychiatrica Scandinavica, 119(2), 98-106.
  9. Hayes, S. C., Strosahl, K. D. & Wilson, K. G. (1999). Acceptance and commitment therapy: An experiential approach to behavior change. New York: Guilford.
  10. Twohig, M. P., Hayes, S. C., Plumb, J. C., Pruitt, L. D., Collins, A. B., Hazlett-Stevens, H. & Woidneck, M. R. (2010). A randomized clinical trial of acceptance and commitment therapy vs. Progressive relaxation training for obsessive compulsive disorder. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 78(5), 705-716.
  11. Foa, E. B., Liebowitz, M. R., Kozak, M. J., Davies, S., Campeas, R., Franklin, M. E., Huppert, J. D., Kjernisted, K., Rowan, V., Schmidt, A. B., Simpson, H. B. & Tu, X. (2005). Randomized, placebo-controlled trial of exposure and ritual prevention, clomipramine, and their combination in the treatment of obsessive-compulsive disorder. American Journal of Psychiatry, 162(1), 151-161.
  12. Simpson, H. B., Huppert, J. D., Petkova, E., Foa, E. B. & Liebowitz, M. R. (2006). Response versus remission in obsessive-compulsive disorder. Journal of Clinical Psychiatry, 67(2), 269-276.

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